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Sinnliche Musik passendes Kleid

Hei hai Yu Hei Yu Sinnliche Musik, passendes Kleid

Lübeck. Wenn Yuja Wang auf die Bühne gestakst kommt, ertönt im Publikum zuverlässig ein großes „Oh!“. Wegen ihrer Erscheinung. Bei manchen Konzerten der Pianistin konnte man den Eindruck haben, die 30 Jahre alte Musikerin aus China habe ihr Bühnenoutfit bei Beate Uhse erworben, so knapp und manchmal auch ordinär war das jeweilige Kleid ausgefallen. In die Lübecker Musik- und Kongresshalle läuft Yuja Wang mit etwas Langem, violett Glitzerndem, apart Rückenfreiem ein, zieht eine Schleppe hinter sich her, die das verwegen hohe Schuhwerk nicht verbirgt.

Warum beschäftigen die Zuhörer bei einem klassischen Konzert solche Äußerlichkeiten? Schon deshalb, weil sie ein Statement sind und mehr als einen flüchtigen Eindruck vermitteln. Nur: Was will die Pianistin uns damit sagen? Das bleibt ein Rätsel. Dass sie eine attraktive Erscheinung ist, muss sie nicht mit der Ausstellung von Körperlichkeit überbetonen.

Man sollte sich also auf ihr musikalisches Können besinnen. Und das ist über viele Zweifel, die der Augenschein den Ohren einreden will, erhaben. Yuja Wang spielt an diesem Abend das 1.

Klavierkonzert von Johannes Brahms in d-Moll, an dem der Hamburger in den 1850er Jahren fünf Jahre lang herumkomponierte. Von den Brahms’schen Mühen ist beim Vortrag von Yuja Wang nichts zu hören.

Behutsam schleicht sie sich in den Orchester-Auftakt ein, doch ausdrucksstark ist ihr Spiel auch in ruhigen Passagen. Ohnehin scheint sie nur darauf zu warten, zuschlagen zu können. Und sie kommt schnell zum Zug bei den vollgriffig zu bewältigenden Kaskaden im Maestoso. Wang hat eine sehr sportliche Musikauffassung – sie gibt, wenn Gefühlsausbrüche gefordert werden, alles an Energie und Rasanz, kann sich aber in innigen Momenten zurücknehmen. Und durch ihre Virtuosität hindurch meint man herauszuhören, dass da ein Unglücklicher die Noten setzte.

Begleitet wird sie von einem der Orchester, dessen Ruf wie Donnerhall klingt: den Sankt Petersburger Philharmonikern, ein „Verdientes Kollektiv Russlands“, das auf eine 135-jährige Geschichte zurückblicken kann. So aufregend die Solistin, so betulich aber die Orchester-Umhüllung. Chefdirigent Yuri Temirkanov scheint auf ein Mittelmaß an Ausdruck eingeschworen zu sein. Erst beim Fest der Klavier-Kadenzen im dritten Satz vernimmt man aus dem großen Klangkörper mehr Leidenschaft.

Dennoch: Großer Beifall für Solistin und Orchester. Und ein allerletzter Satz zur Erscheinung von Yuja Wang. Dem britischen „Guardian“ sagte sie einmal: „Wenn die Musik schön und sinnlich ist, warum nicht die passende Kleidung?“

Die passenden Töne für Sankt Petersburger Philharmoniker und Yuri Temirkanov gab es nach der Pause mit Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in der Orchesterfassung von Maurice Ravel. Diese musikalische Annäherung an Gemälde und Zeichnungen des russischen Malers Wiktor Alexandrowitsch Hartmann hat sich längst von diesem Ursprung gelöst, das demonstriert auch Yuri Temirkanov. Mussorgskys „Promenade“, ein majestätisches Schlendern von Bild zu Bild, gerät bei Ravel und besonders in dieser Aufführung zum Truppenaufmarsch. Zieht da eine Armee dem Untergang entgegen?

Farben werden dick aufgetragen, der „Gnom“ bekommt etwas Beängstigendes, doch huscht er dann zum Glück rasch vorbei. Beim „Ballett der unausgeschlüpften Küken“ hört man einen ganzen Hühnerhof, die „Katakomben“ dröhnen tief und archaisch. Überhaupt stellt der Dirigent alles Heroische („Das große Tor von Kiew“) laut auftrumpfend aus. Der anhaltende Beifall erntet eine Zugabe zur Beruhigung: das von einem Streicherteppich dominierte „Amoroso“ aus Prokofjews „Cinderella“-Ballett.

Michael Berger

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