Seit 20 Jahren betreibt Eva-Maria Baer einen Hochzeitsausstatter — zuerst in Roggosen und seit zehn Jahren am Cottbuser Altmarkt. Im Dezember wird die Geschäftsfrau 70 Jahre alt und will sich zurückziehen. Sie sucht händeringend einen Nachfolger, sonst muss das traditionsreiche Brautmodengeschäft schließen.
Es war ein strahlend schöner Sommertag. Heiß wie in der Hölle. Doch den Tag im Grünen zu genießen — davon wurde Eva-Maria Baer von einem panischen Telefonanruf abgehalten. Eine junge Kundin von ihr stand wohl kurz vorm Zusammenbruch. In einer Stunde sollte ihre Trauung sein. Sie war fix und fertig angekleidet, die Frisur saß, der Schleier fiel in perfekten Wellen, die etwa zwei Meter lange Schleppe sah samt Kleid bezaubernd aus. Vor lauter Vorfreude wollte die Schwester der Braut ein Glas Sekt kredenzen. Sie öffnete die Flasche - und die blutrote sprudelnde Flüssigkeit spritzte zischend über das bis dahin strahlend weiße Kleid.
Auch für Eva-Maria Baer war guter Rat teuer. In ihrem Geschäft für Braut- und Abendmoden hat sie schließlich immer nur ein Modell in jeweils einer Größe parat. Dennoch bat sie die Braut zu ihrem Geschäft und fand sich mit einer ihrer Angestellten selber dort ein. „Das war Höchstleistung“, erinnert sich die Geschäftsfrau heute noch. Der Pfarrer war gebeten worden, die Trauung um eine Stunde zu verschieben. Die Braut kam in weißer Unterwäsche, mit blauem Strumpfband, weißem Bademantel. beschleierter Mähne und dem befleckten Kleid zusammengerollt überm Arm. Die zwei Geschäftsfrauen hatten derweil zwei Bügelbretter aufgestellt. Die ungewollten roten Muster auf dem Kleid wurden fast wettkampfmäßig mit Fleckentferner besprüht, mit Wasser bearbeitet und trockengebügelt. Die Hochzeit konnte schließlich stattfinden...
Eva-Maria Baer und ihre Kollegin waren erstmal fix und fertig vom Akkordarbeiten und -bügeln bei der Sommerhitze. Sie gönnten sich ein Glas Sekt. „Aber weißen“, betont die Frau und hängt lächelnd an: „Seitdem warne ich alle künftigen Bräute vor rotem Sekt beim Fest.“
Für Eva-Maria Baer ist das eine von vielen Erinnerungen. Ihr Geschäft „Evas Braut- & Abendmoden“ betreibt sie schließlich schon seit 20♦Jahren. Schlicht hatte sie damit angefangen — 1997 in einer Dachwohnung in Roggosen. Fünf Jahre zuvor war sie mit ihrem Ehemann Werner aus Rheinland-Pfalz nach Brandenburg gezogen. Das ehemalige Kombinat Industrielle Mast (KIM) Roggosen war nach der Wende an die Firma Ehlego verkauft worden. In derem Namen wurde Werner Baer Herr über etliche Tausend Hühner (was ihm später den Spitznamen Eier-Baer einbrachte). Im angeschlossenen Hotel, für das er ebenfalls verantwortlich war, bezogen das Paar samt Schwiegermutter das Dachgeschoss.
Als letztere wenige Jahre später mit 92 starb, wurde ihre Wohnung bald zu einem kleinen, aber feinen Brautmodenladen umfunktioniert. „Das lief sehr gut an“, schätzt Eva-Maria Baer ein. „Roggosen liegt an der Autobahnabfahrt, vom Hotel ist ein großer Parkplatz — zu diesen günstigen äußeren Bedingungen kommen der Charme und die Herzlichkeit der Inhaberin dazu. Das sprach sich offenbar schnell herum. So, dass sich sogar Männer trauten, hier mal in ein Hochzeitskleid zu steigen.
Heute gehören gleichgeschlechtliche Paare ganz selbstverständlich zu ihrem Kundenkreis, den sie nun seit genau zehn Jahren in einem komfortablen Geschäft am Cottbuser Altmarkt betreut.
Oder eigentlich: betreut hat. Die Trauer um ihren vor reichlich vier Jahren verstorbenen Ehemann, dieses und jenes gesundheitliche Gebrechen ließen die Kraft der im kommenden Dezember 70 Jahre alt werdenden Firmeninhaberin schwinden. „Wenn ich nicht bald einen Nachfolger finde, werde ich die 20 Jahre alte Tradition wohl zum Frühjahr abschließen müssen“, bedauert Eva Baer aus vollem Herzen. Das wäre wirklich schade drum, sagt sie, und meint sowohl die zwei Mitarbeiterinnen, die netten Räume als auch den Warenbestand, der zu einem sehr moderaten Preis übernommen werden kann.
Und schade wäre es auch, weil sich das Geschäft einen guten Namen sogar bis Dresden und Berlin erarbeitet hat — obwohl es in diesen Städten Brautmodengeschäfte ebenfalls gibt. „Meine Kunden schätzen die intime Atmosphäre“, verrät die Geschäftsfrau. Im separaten gemütlichen Brautzimmer werden auch bis zu vier Vertraute der Braut mit Getränken verwöhnt, während sie ihre Meinung zu den Anproben kundtun. Bis zu zehn Kleider probiert eine Frau hier an. Sie wurden entsprechend ihrer Vorstellungen zuvor von den Geschäftsfrauen aus dem reichlichen Angebot vorausgewählt.
Waren es in Roggosen zu Anfang 70 Brautkleider, so hängen in den Cottbuser Räumen jetzt an die 300. Kleider zum Kaufen wie auch zum Ausleihen. Etwa ebenso viele andere festliche Kleidungsstücke lagern ebenfalls in Regalen und hängen an Ständern, etwa für Kinder oder die Festgäste. Und Männer können hier ebenfalls eingekleidet werden mit Anzügen, Hemden, Westen samt Plastrons, sowie anderen Accessoires.
Zubehör für Damen ist heute weniger gefragt. „Die Zeit hat auch das Kaufverhalten geändert“, weiß Eva Baer. Heute kaufen künftige Bräute vieles vom modischen Beiwerk im Internet — auch wenn das manchmal gar nicht mehr zum ausgesuchten Kleid passt. Aber letztlich entscheidet die Kundin.
Dabei hat sich die Mode selbst in den 20 Jahren natürlich auch geändert: Waren damals aufwändige Kleider mit Puffärmeln, großer Schleife im Rücken und bodenlang mit sehr weiten Reifrock beliebt, so sind jetzt auch knieumspielende oder lange figurbetonte Kleider gefragt, die aus verschiedenen Stoffmaterialien genäht wurden. Das glänzende Satin wurde abgelöst von Spitze mit Organza, Tüll, Taft und Shantung. Ein Kleid hat heute sieben oder acht Stoffschichten oder -arten in sich vereint. Dementsprechend sind auch die Preise ganz andere. Bekam man vor knapp einem Vierteljahrhundert ein tolles Brautkleid für 400 bis 600 D-Mark, so hat Eva Baer heute Kleider zwischen 600 und 1200 Euro im Angebot.
Und was heute auch nach den Worten der Fachfrau selbstverständlich ist: Auch Frauen um die 50 wollen ihren zweiten oder dritten Ehemann in einem Brautkleid das Jawort geben.
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