Wenn sie sich einen Fehlgriff erlaubt, spricht das halbe Land davon: Tatjana Kotoric. Sie sucht beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) zusammen mit ihrem Team die Outfits für 220 TV-Moderatorinnen und Moderatoren aus. Alle sechs Monate stellt die Chef-Stylistin etwa 30 Outfits pro Moderator zusammen – die mal besser und mal schlechter beim Publikum ankommen.
Für Aufregung sorgte ein Kleid von «10 vor 10»-Moderatorin Andrea Vetsch. Lange, schwarze Hände prangten auf der Bluse, auch über ihrer Brust. Prompt folgten empörte Reaktionen: Skandalös sei das Kleid, es sehe aus, als würde Vetsch betatscht, fanden zahlreiche Zuschauer, die sich vom SRFeine «anständigere» Kleiderpolitik gewohnt sind.
Wie aber kommt ein solches Outfit zustande? Ich wage das Experiment und lasse mich von der 41-jährigen Kotoric von Kopf bis Fuss einkleiden. Wird nun aus der jungen Reporterin eine zugeknöpfte Nachrichtenmoderatorin?
Pro Moderator eine Stange
Kotorics Arbeitsplatz in den Leutschenbach-Studios ist nicht einfach eine Lagerhalle, er gleicht einer kompletten Kleiderboutique. Ein grosser, heller Raum, Tausende Kleidungsstücke säuberlich sortiert und perfekt gestapelt. In der Mitte steht ein riesiger Spiegel, an der Wand reihen sich voll behangene Kleiderständer. Jede Stange ist mit einem Moderatoren-Namen versehen.
Neugierig suche ich nach meiner Stange, Kotoric hat bereits eine Vorauswahl an Kleidung für mich ausgesucht. Dies anhand der vorgängig zugesandten Ganzkörperfotos plus Angaben zu Grösse und Gewicht. «Bevor ich mit der persönlichen Beratung beginne, erstelle ich jeweils ein Lookbook», sagt sie. Sie sammelt Bilder von Outfits, die zur Person passen könnten. Gespannt schaue ich auf den Laptop vor uns, und staune nicht schlecht. Es sind Bilder der Schauspielerin Jessica Alba, einer ausgesprochen stylishen Frau. Sie trägt weite rote Schlaghosen, ein schwarz-weiss gestreiftes Shirt mit einem schwarzen Blazer. So stelle ich mir eine Frau auf einem Laufsteg vor, nicht aber eine Nachrichtenmoderatorin.
Mein Blick wandert zum Kleiderständer neben uns. Das müssen meine sein. Sofort springt mir das vorderste Outfit ins Auge: ein bordeauxroter Blazer mit der dazu passenden Anzughose. Klischee erfüllt, denke ich. Genau so habe ich mir das vorgestellt. Eintönig, nichts Aufregendes. Bei der Vorstellung, mich in einem Hosenanzug zu sehen, muss ich lachen. Kotoric: «Für die Nachrichtensendungen suche ich klassische Businesskleidung aus.» Diese sei keineswegs prüde oder langweilig, findet die Style-Expertin, die schon seit zehn Jahren SRF-Moderatoren einkleidet.
Jede Sendung habe ihre eigene Sprache, ihren eigenen Look. «‹Glanz?&?Gloria› darf verspielter sein. Bei den Nachrichten geht das nicht», so Kotoric. Ich bin gespannt, mit welchem Outfit sie mich als Erstes in die Umkleidekabine schickt. Statt zum dunkelroten Hosenanzug greift Kotoric zu einer blauen Anzughose, einem bis zum Kinn zugeknöpften, weissen Pullover und spitzen, schwarzen Lackschuhen.
Die Kleider sitzen perfekt
Klischee erfüllt, denke ich erneut. Sehr anständig, nur nicht zu viel Haut zeigen. Als ich vor dem Spiegel stehe, stellt Kotoric sich hinter mich. «Darf ich?», fragt sie, während sie bereits meinen Hosenbund gefasst hat und mir mit einem Ruck die Hosen zurechtzupft.
Gekonnt glättet Tatjana Kotoric jede einzelne Falte meines Oberteils und fixiert Stecknadel um Stecknadel, bis sich die Stoffe perfekt um meinen Körper legen. Ich wirke damenhaft, fast etwas altbacken – und ich fühle mich zehn Jahre älter.
«Mit 16 Jahren kam ich von Bosnien in die Schweiz und war nach der Schule lange Zeit als Verkaufs- und Marketingleiterin bei verschiedenen Fashionbrands tätig. Durch Zufall habe ich das Styling entdeckt», erzählt Kotoric. Später übernahm sie grössere Stylingprojekte und baute ihre eigene Kleidermarke auf. In der Freizeit schreibt sie Beiträge für ihren eigenen Fashionblog. Inspiration hole sie sich tagtäglich bei der Arbeit, sie verfolgt die Wandlungen der Mode und besucht Fashion Weeks.
Die Kleider der SRF-Sprecher dürfen nicht zu sexy sein, sie sollten weder flimmern noch stark ablenken.
Die nächste Kleiderkombination, die ich anprobiere, ist eine hellblaue Leinenbluse und eine beigefarbene Hose mit hohem Bund und einer Schleife statt eines Gürtels. Matte Farben, eher brav, denke ich. Doch als ich mich damit im Spiegel sehe, muss ich gestehen, dass es recht modisch aussieht. Ob es auch knalliger gehe, frage ich. «Probier das hier», sagt Kotoric und reicht mir eine pinkfarbene Bluse. «Zusammen mit einem Lederrock.» Endlich etwas Gewagtes.
Was ihr grösster Fehlgriff gewesen sei, frage ich. «Wohl das Kleid mit den Händen», erinnert sich Kotoric. Ihr habe es gut gefallen, auch die Moderatorin habe sich wohlgefühlt darin. Aber wegen der Aufregung habe man entschieden, das Kleid nicht mehr einzusetzen. «Wir möchten die Leute ja nicht verärgern.» Kritik könne ihr nahegehen, sagt Kotoric. Sie stelle die Outfits mit Liebe und Sorgfalt zusammen. «Aber wenn Kritik berechtigt ist, lerne ich daraus.»
Was gar nicht geht, ist alles, was zu sexy ist, was flimmert oder extrem ablenkt. Die farbigen Socken, die manche Sportmoderatoren tragen, können aber durchaus gewollt sein. Wobei: Socken, Schmuck und Unterwäsche gehören nicht zur Beratung. «Das müssen die Moderatorinnen selber mitbringen.»
Bei der Frage, mit wem das Styling am längsten dauert oder am mühsamsten verläuft, muss Kotoric lachen. «Das sage ich natürlich nicht, aber bei über 200 Personen sind viele starke Charaktere dabei, die sich auch einbringen wollen. Dann müssen eben beide mal einen Kompromiss machen.» Das Ganze sei keine One-Woman-Show und werde am Ende auch mit der Redaktion und dem Kreativdirektor abgesprochen.
Jedes Detail fällt auf
Ist das perfekte Outfit gefunden, gehts ab ins Studio. Und eine Stunde Zeit braucht es auch noch für Haare und Make-up. Ein grosser Aufwand. Nehmen alle über 200 Moderatorinnen und Moderatoren diesen Service in Anspruch? «Nein», sagt Kotoric und streicht auf meiner Bluse die Falten weg. Auch die gelockten Haare drapiert sie mir perfekt auf der Schulter. «Bei Nachrichtensendungen liegt der Fokus sehr stark auf dem Oberkörper, jedes Detail fällt auf. Daher testen wir die Outfits im Studio. Das ist nicht für alle Sendungen nötig.»
Da stehe ich also, nach meiner Verwandlung zur SRF-Moderatorin im «Tagesschau»-Studio. Der eintönige rote Anzug sollte es doch nicht sein. Auch nicht das lässige Jessica-Alba-Outfit. Und auch nicht die modischen Hüfthosen mit Schleife. Siegeroutfit wurde die knallige Bluse und die enge Anzughose. Anständig, aber mit Mut zur Farbe. «Ich bin zufrieden. Wie fühlst du dich?», fragt Kotoric. Wie eine Nachrichtenmoderatorin.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 27.10.2017, 22:40 Uhr
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